aus: Lutz Grünke »Insel Rügen – Fotografien zwischen 1985 und 1989« · 30,5 × 20 cm · Hardcover · 148 Seiten · ISBN 978-3-981-3568-2-3
Geboren in Binz auf Rügen und lebenslang mit der Insel und seinen Bewohnern verbunden, hat Lutz Grünke beharrlich seine unmittelbare Umgebung vor die Linse gezogen, um das Gesehene und Erlebte auf seinen Sinn hin abzuklopfen. Seine Schwarz-Weiss-Fotos aus den Jahren 1985 bis 1989 haben dabei einen besonderen Stellenwert, denn im Rückblick erscheinen diese Bilder geradezu als Beweisunterlagen für ein soziales Klima, das sich melancholisch-triumphal der Hoffnungslosigkeit ergab. Grünke zeigt den Verfall der Städte, darüberhinaus Menschen im Arbeitsprozess sowie in ihren sozialistischen Behausungen. So wie sein Bildpersonal in die Kamera guckt, unterstreicht es seinen Status, schwächstes Glied in einer Ereigniskette zu sein, die wie eine Zufallserscheinung der Evolution wirkt und in die Unausweichlichkeit zu steuern scheint. Vom plötzlichen Aufbruch im Herbst 1989 keine Spur. Weil Lutz Grünke aber ein untrügliches Auge für’s Detail und die Absonderlichkeiten des Alltäglichen hat, stößt der Betrachter immer wieder auf ein paar Auffälligkeiten. Da sieht man das halb verdeckte Cover einer LP von Roxy Music oder ein Plakat für die polnische Gewerkschaft Solidarność neben kreischendem Nina-Hagen-Poster über Pollock-mäßigem Farbdripping. In den eigenen vier Wänden versuchte der DDR-Bürger, die Freiheit seines Herzens zu retten. Grünke registriert mit Argusaugen, wie sich die Wut im Bauch an der Faktizität der Geschichte reibt und an den Anderen, die das Sagen haben. Auswege sind nicht in Sicht, noch nicht einmal Ideen der Rettung. Lutz Grünke begegnet am Strand Punks und Poppern, befreundeten Fotografen und Künstlern (u. a. Claus Bach, Petra Göllnitz, Peter Oehlmann), Szenefiguren aus der Subkultur. Rügen taucht in diesen stillen Bildern nicht nur als Zone gesellschaftlichen Stillstands auf,
Es ist bekannt, dass es im missratenen realsozialistischen Experiment all das gegeben hat: sowohl linkes Biedermeier als auch Hippietum und Ost-Punk, den frechen Ausbruch der Jugend aus der Schutzhaft ihrer vier Wände und der ideologischen Bevormundung. Aber nicht nur aus sentimentalen Gründen lohnt es, daran zu erinnern und Lutz Grünkes Bilderspur zu folgen. Geduldig fängt er unerfüllte Hoffnungen ein, grundlose Sehnsüchte und frei schwebende Träume. Bereits während seiner Zeit im Experimentalraum von Ulrich Müther konnte er die volkseigenen Luftschlösser inspizieren und lernen, wie man sich an den Staatsmärchen reibt. Als Grünke 1986 seine ersten Schritte als freischaffender Fotograf und Grafikdesigner geht, fühlte er sich bereits vollständig in der Realität geerdet. Dementsprechend sind es dann auch lediglich seine weiblichen Akte, die, teilweise formal gehöht, wie ein Versprechen auf einen utopischen, fast ätherischen Überschuss angelegt sind, der freilich unter realsozialistischen Bedingungen nicht einzulösen war. Unterschwellig offenbart sich im Werk Lutz Grünkes auch die Weiterführung einer Traditionsline, die, das soll nicht unterschlagen werden, auf den fotoclub binz zurückgeht und damit auf Wolf Grünke, seinen 1997 verstorbenen Vater, den Gründer der Foto-Biennale der Ostsee-Anrainerstaaten ifo-scanbaltic, der sich ebenfalls als Fotograf einen guten Namen gemacht hat. Ästhetisch unverwechselbar ist Lutz Grünke dann, wenn sein Blick für das Architektonische und für Bildstabilität überwiegt. Mit diesem Potential seines fotografischen Auges lädt er seine aktuelle Bildproduktion auf. Randvoll. Das Beste kommt also noch.